Nicht Leistungsbilanzüberschüsse sind das Problem, sondern nach wie vor dysfunktionale Finanzmärkte

Berthold U. Wigger

Kernaussagen

  • Leistungsbilanzüberschüsse und -defizite sind Merkmale eines freien internationalen Güter- und Kapitalaustausches. Dennoch sieht sich Deutschland aufgrund seiner Überschüsse im Ausland massiver Kritik ausgesetzt. Sie werden als eine Ursache für die Destabilisierung im Euroraum betrachtet.
  • Dabei profitieren sowohl Überschuss- als auch Defizitländer vom internationalen Kapitalfluss, wenn funktionierende Finanzmärkte das Kapital bestmöglichen Verwendungen zuführen.
  • In Europa würde eine Regulierung von Leistungsbilanzsalden die Intentionen eines freien Binnenmarktes konterkarieren.
  • Besser reguliert werden müssen vielmehr die Finanzmärkte, damit der internationale Kapitalfluss für Bürger in Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen wie auch mit Defiziten seine vollen Vorteile entfaltet.

Nicht Leistungsbilanzüberschüsse sind das Problem, sondern nach wie vor dysfunktionale Finanzmärkte
Seit Kurzem steht Deutschland wegen seiner Leistungsbilanzüberschüsse wieder am internationalen Pranger. Das amerikanische Finanzministerium hat diese Überschüsse in ungewöhnlich deutlicher Form kritisiert und ihnen eine ursächliche Rolle für die mangelnde Stabilität im Euroraum zugeschrieben. Auch die Europäische Kommission sorgt sich um die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse und erwägt, dagegen einzuschreiten.

Die Kritik an den deutschen Leistungsbilanzüberschüssen ist freilich nicht neu. Schon seit geraumer Zeit wird die deutsche Politik von Partnerländern in der Europäischen Union und von wirtschaftspolitischen Kommentatoren wie Paul Krugman aufgefordert, etwas gegen diese Überschüsse zu unternehmen. Dahinter steckt offenbar die Vorstellung, ein Abbau deutscher Leistungsbilanzüberschüsse führe zugleich zu einem Abbau der Leistungsbilanzdefizite in den krisengeschwächten Ländern der europäischen Peripherie und helfe ihnen, ihre Staatshaushalte wieder in Ordnung zu bringen. Zwar ist das in keiner Weise gewährleistet, da alle Länder der Europäischen Union auch mit Ländern außerhalb der Union Handel treiben. Zudem bedeuten Leistungsbilanzdefizite nicht notwendigerweise, dass die betreffenden Länder defizitäre öffentliche Haushalte aufweisen. Dennoch lohnt es, die Leistungsbilanzüberschüsse und -defizite in Europa näher in den Blick zu nehmen. Die Leistungsbilanzsalden sind nämlich ein Symptom für nach wie vor dysfunktionale Finanzmärkte.

Zunächst einmal gilt, dass Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen Forderungen gegenüber dem Ausland aufbauen und Länder mit Leistungsbilanzdefiziten Verbindlichkeiten. Entsprechend bedeuten Leistungsbilanzüberschüsse einen Kapitalabfluss für das betreffende Land und Leistungsbilanzdefizite einen Kapitalzufluss. Der Kapitalfluss zwischen Überschuss- und Defizitländern muss für sich genommen nicht schlecht sein. Im Gegenteil: Sowohl Überschussländer als auch Defizitländer profitieren, wenn funktionierende Finanzmärkte das zwischen ihnen fließende Kapital in bestmögliche Verwendungen lenken.

Wie kann Deutschland profitieren? Die deutsche Gesellschaft sieht sich gegenwärtig einem tiefgreifenden demografischen Wandel gegenüber, der das Verhältnis von Erwerbstätigen zu Ruheständlern massiv verschiebt. Die privaten Haushalte haben darauf mit zusätzlicher privater Vorsorge für das Alter reagiert und der Staat hat sich mit der Schuldenbremse eine Konsolidierungspolitik verordnet, die den öffentlichen Schuldenstand in den nächsten Jahren deutlich zurückführen wird. Beides sind rationale Anpassungen an den Alterungsprozess. Sie bedingen freilich, dass die volkswirtschaftliche Ersparnis zunimmt. In dem Maße, in dem diese Ersparnis nicht im Inland investiert wird, führt sie zu Leistungsbilanzüberschüssen. Dagegen ist per se nichts einzuwenden, wenn funktionierende Finanzmärkte dafür sorgen, dass mit den Ersparnissen attraktivere Investitionen im Ausland als im Inland möglich finanziert werden.

Herrschen freilich auf den Finanzmärkten Fehlanreize, so ist nicht gewährleistet, dass das durch den Kapitalfluss bewirkte Kreditangebot in Defizitländern sowohl für Kreditgeber in Überschussländern als auch für Kreditnehmer in Defizitländern vorteilhafte Wirkungen entfaltet. So hat in Griechenland das günstige Kreditangebot in der Vergangenheit einen exzessiven staatlichen Konsum begünstigt; in Irland hat es eine durch Hypothekenschulden aufgeblähte spekulative Blase im Immobilienmarkt entstehen lassen, deren Platzen zunächst den irischen Bankensektor und dann den irischen Staat in eine finanzielle Notlage gebracht hat.

Zwar haben die Finanzmärkte auf diese Fehlentwicklungen reagiert. Die privaten Banken Griechenlands, Irlands und anderer europäischer Krisenstaaten wurden als schlechte Risiken identifiziert und ihre Kreditversorgung auf privaten Finanzmärkten erheblich erschwert oder gänzlich unmöglich. Allerdings ist die Europäische Zentralbank (EZB) hier in die Lücke gesprungen und hat die intermediäre Funktion privater Banken in den Krisenländer teilweise oder vollständig übernommen. Damit wird erreicht, dass nicht nur die finanziellen, sondern auch die realwirtschaftlichen Ströme in der Eurozone erhalten bleiben. Ob diese Ströme im gegenwärtigen Umfang indessen erhalten bleiben sollten, ist fraglich. Einiges deutet darauf hin, dass die Politik der EZB die Fortsetzung von Kapitalströmen begünstigt, die in diesem Umfang nicht zustande kämen, müssten die privaten Akteure in Überschussländern die vollen Risiken des Erwerbs von Forderungen in Defizitländern als Gegenleistung für dorthin exportierte Leistungen in Rechnung stellen.

Was ist die Konsequenz aus dieser Entwicklung? Sicher nicht, wie jetzt wieder gefordert, wirtschaftspolitischen Einfluss auf nationale Leistungsbilanzsalden zu nehmen. Leistungsbilanzüberschüsse und -defizite sind Merkmale eines freien internationalen Güter- und Kapitalaustausches. In Europa würde ihre Regulierung die Intentionen eines freien Binnenmarktes geradezu konterkarieren. Die Konsequenz muss vielmehr sein, private Finanzmärkte so auszugestalten, dass private Akteure die Risiken, die sich mit der Bereitstellung von Krediten verbinden, angemessen berücksichtigen. Gelingt das, so wird der freie Kapitalfluss innerhalb Europas für seine Bürger nachhaltige Vorteile entfalten.

Ein Gedanke zu „Nicht Leistungsbilanzüberschüsse sind das Problem, sondern nach wie vor dysfunktionale Finanzmärkte

  1. Ulrich Sommer

    Aus marktwirtschaftlicher Sicht sind die Finanzmärkte überreguliert. „Bessere“ Regulierung kann deshalb hier doch nur heißen, daß die Finanzmärkte entweder dereguliert oder zumindest sinnvoll nicht nur anders, sondern auch „herunterreguliert“ werden. Allerdings sind solche Prozesse natürlich um so schmerzhafter, je länger damit gewartet wird.

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